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Lust auf Fleisch?

10 September 2022

Neue Schweinereien beim organisierten Schlachten

Dieser Artikel (gemeinsam mit Felizia Rein) erschien ursprünglich am 17. Juni 2017 im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Weber-Institut für Soziologie an der Universität Heidelberg (Forschungsgruppe heiGOS Prof. Dr. Markus Pohlmann, siehe die Blogseite der Forschungsgruppe: link).  Bedauerlicherweise hat er nichts an seiner Aktualität verloren.

Mit welchen Methoden und unter welchen Bedingungen Tiere geschlachtet werden dürfen ist in Deutschland und in der EU (einheitlich seit 2013) gesetzlich geregelt. Bei der Schlachtung sollen die Tiere weder Schmerzen haben noch leiden – so ist es jedenfalls im deutschen Tierschutzgesetz sowie in der Tierschutz-Schlachtverordnung (TierSchlV) vorgeschrieben. Gemäß dieser sind „Tiere (…) so zu betäuben, dass sie schnell und unter Vermeidung von Schmerzen oder Leiden in einen bis zum Tod anhaltenden Zustand der Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit versetzt werden“. Leider ist die Praxis des „organisierten“ Schlachtens oft anders, in vielen Fällen erleiden die Tiere während der Schlachtung aufgrund von Fehlbetäubungen große Qualen und Schmerzen.

Auch „Bio“ endet beim Schlachten

Auch in bio-zertifizierten Schlachthöfen sieht das nicht anders aus. Erst Anfang Mai 2017 hat die Leitung des Schlachthofs in Fürstenfeldbruck beschlossen, ihren Betrieb zu schließen. Laut Süddeutscher Zeitung stammen etwa 60 Prozent der Tiere, die dort geschlachtet wurden, aus ökologischer Haltung. Vorausgegangen waren Undercover-Aufnahmen der Tierrechtsorganisation „SOKO Tierschutz“, welche grobe Gewalt, systematische Rechtsbrüche und massive Probleme bei der Betäubung von Schweinen und Rindern zeigten. Soko Tierschutz stellte Strafanzeigen gegen fünf Verantwortliche des als Musterbetrieb in der Biobranche geltenden Schlachthofs.

Solche Missstände sind kein Einzelfall. Nach Einschätzung von Klaus Troeger, ehemaliger Leiter am Kulmbacher Max Rubner-Institut (das Bundesinstitut beschäftigt sich unter anderem mit der Sicherheit und der Qualität bei Fleisch und berät das Verbraucherschutzministerium), werden jährlich etwa 500 000 Schweine bei lebendigem Leib verbrüht, weil sie nicht ordnungsgemäß entbluten. 2012 gab die Bundesregierung auf Anfrage der Partei Bündnis 90/Die Grünen die Fehlbetäubungsrate bei Schweinen bei handgeführten elektrischen Anlagen mit 12,5 Prozent und bei automatischen Anlagen mit 3,3 Prozent an. Die Fehlerrate bei Rindern wurde mit über 9 Prozent angegeben. In absoluten Zahlen bedeutet dies jährlich weit über 300 000 Rinder und bis zu 7,5 Millionen Schweine, die bei der eigentlichen Schlachtung nicht ausreichend betäubt sind.

Eine Branche außer Kontrolle?

Beim Schlachten kommt es zu gravierenden Tierschutzverletzungen. Es handelt sich um systembedingte, auf die Organisationsstrukturen zurückzuführende Missstände wie z.B. Akkordlöhne in den Schlachthäusern und die aus dem Zeitdruck resultierende Fehlerquote. Allein in deutschen Schlachthöfen sterben jährlich über 750 Millionen Tiere, darunter circa 670 Millionen Masthühner, Suppenhühner und Puten, 60 Millionen Schweine, 3,6 Millionen Rinder und weitere Millionen andere Tiere. (Statistisches Bundesamt 2016). Bei diesen Zahlen wird deutlich: Dieses System funktioniert nur mit einer industriell organisierten Schlachtung im Akkord – täglich und fast rund um die Uhr. Die Organisation der Schlachtung verläuft dabei an vielen Stellen gänzlich unkontrolliert. Dadurch entstehen Gelegenheitsstrukturen, die in einer „Kultur des Wegsehens“ in organisierter Form genutzt werden. Die einerseits zwar zunehmend besorgten, aber in ihren Konsumgewohnheiten nur zaghaft reagierenden Verbraucher machen dies ebenso möglich, wie das Personal und die Verantwortlichen im Umfeld der Schlachtung. Um wirtschaftlich schlachten zu können, ist der Schlachtprozess perfektioniert. Der Druck, möglichst billiges Fleisch zu produzieren, hat auch sozio-ökonomische Auswirkungen. Dazu gehören die prekären Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen. Die Fleischwirtschaft in Deutschland ist ein Geschäft, das von schlechten Arbeits- und Lohnverhältnissen lebt. Unter den 30.000 Beschäftigten, die hier schlachten und zerlegen, sind ein Drittel Südosteuropäer, schätzt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Der größte Teil stammt aus Rumänien und Bulgarien, viele auch aus Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien (Sebastian, 2016). Tierschutzgesetze werden zum Nutzen einer Schlachtung im Akkord von umgangen. Es sind nicht wenige, welche die Regeln umgehen. Dadurch entsteht ein devianzförderliches Umfeld. Das Leiden der Tiere beim Schlachtprozess wird rationalisiert und legitimiert, indem auf die geringe Bereitschaft der Verbraucher verwiesen wird, mehr zu bezahlen. Der industrialisierte Schlachtprozess erscheint demnach nur unter Bedingungen gewinnbringend, welche den Tieren erhebliches Leiden zufügt.

Tierschutzverstöße in Schlachthöfen wurden bislang meist völlig unzureichend geahndet. Zwar listet das deutsche Tierschutzgesetz diverse Straftatbestände auf, die mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe (beides nach § 17) oder Geldbuße (bei Ordnungswidrigkeiten nach § 18) bestraft werden können. Das Problem ist aber die Umsetzung: In vielen Fällen kommt es gar nicht erst zu einem Verfahren, weil die Staatsanwaltschaft nicht ermittelt oder nichts beweisen kann. Im Falle einer Verurteilung fallen die Strafen häufig gering aus. Das Versagen der Behörden wirft ein bezeichnendes Licht auf eine Branche, der Profit wichtiger ist als Transparenz und Tierschutz. Solange es als ökonomisch rational erscheint, Tiere als Ware und Nutzen für den Menschen zu betrachten, orientiert sich die Umgangsweise mit Tieren an der Profitmaximierung und nicht an Tierschutzbestimmungen.

Was können wir tun?

Immer häufiger wird die Forderung nach einer Videoüberwachung in Schlachtbetrieben laut – auch im europäischen Ausland. In Frankreich hat das Parlament einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht. Nach diesem sollen ab 2018 sämtliche Schlachthöfe mit Kameras ausgestattet sein. Das Videomaterial soll aus Datenschutzgründen nur den tierärztlichen Kontrolldiensten, Tierschutzbeauftragten oder zur Ausbildung der Beschäftigten verfügbar gemacht werden. Doch auch hier bleibt die Frage, inwiefern der Staat und die Staatsanwaltschaft die Verfolgung dieser Verstöße auf ihre Agenda setzen. Denn wo Staat und Verbraucher nicht genau hinschauen, sind Schweinereien schnell an der Tagesordnung – insbesondere, wenn sie Teil des Geschäftsmodells sind.

Es bleibt dabei: Wer nicht ganz auf Fleisch verzichten möchte, sollte sich mit den Bedingungen, denen die Tiere bei Aufzucht und Schlachtungsprozess ausgesetzt sind, vertraut machen oder selbst Hand anlegen.

Quellen

Heinrich Böll Stiftung: Fleischatlas 2014 – Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel, online unter:
https://www.boell.de/de/fleischatlas

Reymann, Tanya (2016): Vergleichende Überprüfung des Tierschutzes in Schlachthöfen anhand rechtlicher Vorgaben und fachlicher Leitparameter. Dissertation, LMU München: Tierärztliche Fakultät, online unter:
https://edoc.ub.uni-muenchen.de/19189/1/Reymann_Tanya.pdf

Sebastian, Marcel (2016): Mindestlohn für Mindest-Image, in: Fleischatlas 2016 – Deutschland Regional, online unter:
https://www.boell.de/de/2016/01/13/mindestlohn-fuer-mindest-image?dimension1=ds_fleischatlas_regional

Troeger, Klaus et. al.(2013): Tierschutzgerechte Tötung und Beziehung zur Fleischqualität, 3. LANUV-Forum Tierschutz bei der Schlachtung, 11. Juni 2013, online unter:
https://www.lanuv.nrw.de/fileadmin/lanuv/agrar/tierschutz/pdf/forum3/TierschutzgerechteToetung_Prof-Troeger.pdf

Statistisches Bundesamt: Tiere und tierische Erzeugung. Gewerbliche Schlachtungen 2015 und 2016, online unter:
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/LandForstwirtschaftFischerei/TiereundtierischeErzeugung/Tabellen/GewerbSchlachtungJahr.html, abgerufen am 29. Mai 2017

Verordnung zum Schutz von Tieren im Zusammenhang mit der Schlachtung oder Tötung und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates (Tierschutz-Schlachtverordnung -TierSchlV), online unter:
https://www.gesetze-im- internet.de/bundesrecht/tierschlv_2013/gesamt.pdf

 

Medienberichterstattung

Besser schlachten. Neue Methode kann schreckliche Tierquälerei deutlich vermindern. SWR Odysso, 22. Januar 2015, abgerufen am 30.05.2017

Unnötige Qualen. Sterben Tiere ohne Betäubung, leiden sie stark. 3Sat, 05. Februar 2015, abgerufen am 31.05.2017

Tierschlachtung. Mit viel Liebe getötet. Süddeutsche Zeitung, 13. April 2015, abgerufen am 31.05.2017

Fleischindustrie: Regierung rügt Tierquälerei in SchlachthöfenSpiegel Online, 21. Juni 2012, abgerufen am 30.05.2017

Französische Schlachthöfe werden videoüberwacht. Modell für Deutschland. topagrarONLINE. 24. Januar 2017, abgerufen am 01.06.2017

Tierrechtler stellen fünf Anzeigen im Schlachthof-Skandal. Süddeutsche Zeitung. 20. Mai 2017, abgerufen am 01.06.2017