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Wie ich auf den Vogel kam (Teil I)

16 September 2022

Der familiäre und gesellschaftliche Hintergrund

In diesem Text ist das Tier- und Naturbild der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts verwoben. Es ist die Zeit, in der die „Babyboomer“, also die im Zeitraum von 1955 bis 1969 Geborenen von Statistikern als geburtenstarke Jahrgänge bezeichnet, ihre Kindheit und Jugend erlebten. Ich bin eine Babyboomerin, Anfang der 60er Jahre geboren.

In der Familie, in der ich in einem Städtchen in der Pfalz aufwuchs, waren Tiere willkommen. Waldverbunden, spazierten wir als Familie mit Hund von früh an beinahe täglich durch Wald und über Wiesen. Ich glaube, dass wir sonntags manchmal zum obligatorischen Spaziergang gezwungen wurden – der Deutsche wanderte vor allem sonntags im geliebten Wald mit Hütten-Einkehr und Alkohol. Aber in meiner Erinnerung marschierten mein Bruder und ich meistens freiwillig mit, die Wege im Kiefernwald war weich und bemoost. Wir lauschten dem Gesang der Vögel und begeisterten uns bei jeder Sichtung einer uns nicht bekannten Vogelart. Ein Vogelpark mit Bier- und Wurstbewirtschaftung lag fußläufig erreichbar in der Nähe unseres Hauses. Dort lebten neben kecken Ziegen und Steinböckchen, die sich mit Eicheln füttern ließen, viele bunte Vögel in erbärmlich kleinen Gehegen. Sie flatterten umher, große Strecke machen ging ja nicht. Sie pickten, sangen, stritten und schnäbelten. Und sie äugten durch die Gitter nach draußen zu ihren in Freiheit umherfliegenden Artgenossen. Der Anblick irritierte mich schon als Kind. Es war aber nicht einfach, das Unbehagen zu äußern. Als Kind die eigene Meinung zu sagen war nicht willkommen in dieser Zeit.

Ein neuer Industriezweig entwickelt sich: Der Haustiermarkt

In den 60er und 70er Jahren begann der Haustiermarkt zu boomen. Züchter, Tiermärkte und Futterindustrien schossen aus dem Boden wie Pilze nach einem warmen Sommerregen. Hunde wurden ausschließlich beim Züchter gekauft, um die Rassereinheit zu gewähren während Mischlinge als hässliche Bastarde galten. Es wurden Schwänze und Ohren kupiert. Erziehung beinhaltete lautes "mach Platz!" Gebrüll, Schläge, Tritte und Stachelhalsband. Kleintiere wie Hamster, Kaninchen, Meerschweinchen und die gefiederten Hansis vegetierten in engen Käfigen. Exotische Fische schwammen die Seiten der viereckigen Aquarien ab und wurden als beruhigende Kulisse geschätzt. Katzen durften seit jeher noch die größte Autonomie genießen. Dieses oft dunkle, häufig grausame Kapitel der boomenden Haustierhaltung soll Thema eines anderen Artikels werden. Auch müssen wir nun nicht so tun, also seien die Zustände für die sogenannten Haustiere im Jahr 2022 so viel besser.

Hansi kreischt ins Mikrofon

Anfang der 70er Jahre, mein Bruder und ich waren zwischen sieben und neun Jahre alt, schenkten uns unsere Eltern zwei Wellensittiche, hinzu gesellten sich Meerschweinchen, ein Kanarienvogel und ein Boxer vom Züchter mit kupierten Schwanz und Ohren. Irgendwann entdeckten wir im Garten einen Igel. Wir tauften ihn Isidor. Der zutrauliche Kerl blieb immerhin fast ein Jahr bei uns und tauchte nach dem Winterschlaf kruschelnd und schnaubend wieder auf. Unsere Familie galt demnach als "tierlieb". Die Vögel waren, wie das so üblich war, in kleinen Volieren eingesperrt, da wurde nichts hinterfragt. Immerhin durften die Wellensittiche namens Hansi und Pucki regelmäßig im Haus umherfliegen während der Kanarienvogel Peterle sein kümmerliches Dasein alleine im Käfig fristete. Beim Freiflug kackten Hansi und Pucki die Vorhänge voll, an denen sie nach wildem Flug erschöpft hingen. Genüsslich zerknabberten sie alles Wohnungsgrün, das ihnen zwischen die Krummschnäbelchen kam. Hansi, der blaue Wellensittich, war besonders zutraulich. Während ich meine Hausaufgaben machte, tippelte er häufig neben mir auf dem Schreibtisch kleine Bahnen auf und ab. Wenn es ihm zu langweilig wurde, hackte er kleine Ecken in die Schreib- und Rechenhefte und hinterließ grau-silberne feste Häufchen, die ich zum Verdruss meines allabendlich staubsaugenden Vaters auf den Teppichboden schnippte. Hansi und ich erfanden ein Spiel, das wir beide sehr mochten. Ich hatte einen Kassettenrekorder mit Mikrofon. Ich startete den Rekorder, packte Hansi in meine Hand und richtete das Mikrofon an seinen Schnabel. Er krisch und zeterte was das Zeug hielt. Ließ ich ihn aus der Hand, schlüpfte er fordernd wieder hinein und krisch weiter. Geradezu zum Piepen gestaltete sich das gemeinsame Abhören der Aufnahme. Diese natürlich auf größte Lautstärke gestellt, hörte Hansi wie vom Donner gerührt zu, wiegte sein Köpfchen in schneller Abfolge nach rechts und links, hüpfte aufgeregt und krisch mit sich selbst im Duett. Der ohrenbetäubende Lärm veranlasste meine Mutter, ihrerseits nach oben zu brüllen, bitte leiser zu sein. Es war eine schöne und viel zu kurz währende Zeit. Ich liebte diesen kleinen Kerl. Mit Hansi erlebte ich spielerisch meine erste intensive Beziehung zu einem Vogel. Er war ein kleiner Freund, denn wir spielten und kommunzierten zusammen auf einer Ebene. Auf Du und Du. Als er starb, weinte ich und wollte keine Tiere mehr im Käfig sehen.