Über die Ambivalenz in der Mensch-Tier-Beziehung
25 September 2022Das Verhältnis der Menschen gegenüber Tieren ist von Widersprüchen geprägt
Salopp gestellte Frage an mich und an Dich, Du Leser:in. Wie sieht es aus mit der eigenen Haltung, dem persönlichen Handeln gegenüber "dem" Tier? Was bedeutet uns Tierliebe? Das sind nur zwei von vielen Fragen zur Mensch-Tier-Beziehung. Fangen wir mit dem gebräuchlichen Begriff der Tierliebe an. Viele Menschen bezeichnen sich als tierlieb. In erster Linie denken sie dabei an Haustiere wie Katzen und Hunde, weiter an exotische Delfine, Elefanten, Tiger und Schimpansen. Für die Kinder gibt es Hamster, Kaninchen, Meerschweinchen. Rasch verlieren die Kleinen ihr Interesse an den Nagern. Was wohl an der Scheu und Langweiligkeit dieser Lebewesen liegt und daran, dass es nicht deren Bedürfnis entspricht, angefasst und durch die Gegend geschleppt zu werden. Tiere, solange sie nicht zu Schlangen oder zu den schätzungsweise 50 bis 100.000 Spinnenarten zählen, sind süß. Vor allem flauschige, tapsige Jungtiere mit großen Augen machen sich gut im social media Hype.
33 Millionen Haustiere in deutschen Haushalten
Von der immensen Tierliebe zeugen die geschätzten 33 Millionen Haustiere, die in deutschen Haushalten leben. Dabei ist die Grenze zwischen Tierliebe und Tierquälerei oft fließend. Ähnlich wie bei den sogenannten Nutztieren, dienen auch Haustiere gerne dem jeweiligen Zweck, sprich der Erfüllung menschlicher Bedürfnisse nach Nähe und direkter Kommunikation. Häufig ist die Beziehung von Projektionen, Moden und Vorlieben geprägt. Indes - die natürlichen Bedürfnisse vieler tierischer Mitbewohner geraten dabei häufig unter die Räder. Die individuelle Tierliebe ist nach Jean-Claude Wolf (Tierethiker, der an Universität Freiburg in der Schweiz lehrt) in gesellschaftlich-kulturelle Wertvorstellungen eingebunden. Gesellschaftlich verankerten Präferenzen für bestimmte Tiere steht eine Abneigung anderer Tiere gegenüber. Die Bevorzugung von Haustieren wie Hund oder Katze sei genauso wenig rational begründbar wie die gleichzeitige Angst vor Spinnen oder Schlangen. Domestizierte Säugetiere genießen generell eine bevorzugte Stellung.
Einige Worte zur Geschichte der Haustierhaltung in Deutschland
Die Idee, ein Haustier zu halten, fand ihren Ursprung Ende des 18. Jahrhunderts. Davor war die Haltung von Haustieren vor allem ein Privileg, das lange Zeit Königshäusern und dem Adel vorbehalten war. Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt sich die Haustierhaltung zu einem Massenphänomen, das mit der Industrialisierung zusammenfiel. Die Industrialisierung führte zu einem Verschwinden der "Nutztiere" und der Pferdekutschen aus dem Stadtbild und zeitgleich zu einer Auslagerung der zum damaligen Zeitpunkt bereits existierenden Schlachthöfe. Tiere wurde durch diese Entwicklung unsichtbar(er). Menschen zogen vom Land in die Städte und nahmen als letztes Stück Natur ein Tier zu sich ins Wohnzimmer. Das Bürgertum übernahm vom Adel diese Art der Tierliebe. Jagdhunde und Rennpferde dienten als Repräsentationsobjekte und Statussymbole. Interessanterweise waren Hunde, Papageien und Wellensittiche als Haustiere beliebter als Katzen, obwohl diese weit weniger aufwendig in der Betreuung sind. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurde die Katze als böses, betrügerisches Wesen gedeutet und somit auch weniger als Haustier gewählt.
Hund und Schwein: Sozial, intelligent, verspielt
Ein häufig herangezogenes Beispiel zur Erklärung unserer widersprüchlichen Haltung ist der Hund, der gemeinhin als bester Freund des Menschen gilt und das Schwein, dessen Lendchen in Soße dem Bürger mundet. Der Hund wird gestreichelt, verwöhnt und in Mäntelchen gehüllt. Das Schwein wird in winzige Verliese gesperrt, gemästet, geschlachtet und verspeist. Die Zahlen des statistischen Bundesamts sprechen für sich. Jährlich werden alleine in Deutschland knapp 60 Millionen Schweine geschlachtet. Das Schwein ist, wie wir inzwischen wissen, ein intelligentes, neugieriges und soziales Säugetier und dem geliebten Haushund in nichts unterlegen. Ganz im Gegenteil. Wer im Moment einer emotionalen Entgleisung sein Gegenüber als „dummes Schwein“ beschimpft, zeigt, dass er wenig Ahnung hat. "Man geht davon aus, dass Schweine mehr Kommandos lernen können als Hunde", sagt Sandra Düpjan , die am Leibniz-Institut für Nutztiere in Dummerstorf seit vielen Jahren mit Schweinen arbeitet. Wie Elefanten, Delfine und Primaten können sich Schweine selbst im Spiegel erkennen und haben offensichtlich eine Form von Selbstbewusstsein.
Was also sagt die Forschung über unser ambivalentes Verhältnis zu den Tieren? Darüber demnächst mehr.